Die Berufung im Arzthaftungsprozess – eine echte zweite Chance
Ausgangsfall
Im Frühjahr 2016 lag nachfolgender Fall einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zugrunde:
Eine Klägerin machte Schmerzensgeld sowie materielle Schadenersatzansprüche gegen ein Krankenhaus geltend. Hintergrund war, dass sich die Mandantin mehreren Operationen unterziehen musste und sich hierbei mit Bakterien infizierte. In der ersten Instanz machte die Klägerin geltend, dass sämtliche Operationen behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden seien und gegen Hygienevorschriften verstoßen worden sei.
Das Landgericht Saarbrücken wies die Klage der Klägerin in der ersten Instanz ab.
Die Klägerin suchte sich einen neuen Rechtsanwalt, der den Fall einer nochmaligen Überprüfung unterzog. Beim Studium der Patientenakten fiel dem Rechtsanwalt auf, dass nach einer Operation eine Wundtoilette nicht oder nur unzureichend durchgeführt worden ist.
Der Rechtsanwalt legte aus diesem Grund gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken Berufung ein.
Die Entscheidung der zweiten Instanz
Das Berufungsgericht, im Konkreten das Saarländische Oberlandesgericht Saarbrücken ließ das neue Vorbringen des Anwaltes in der zweiten Instanz nicht zu und führte insoweit aus, dass der neue Vortrag über eine mögliche Entstehungsursache der bei der Klägerin eingetretenen Infektion bei sorgfältiger Prozessführung bereits schon in der ersten Instanz hätte erhoben werden müssen. Die Klägerin habe deshalb nachlässig im Sinne des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO gehandelt, so dass der Vortrag als verspätet qualifiziert werden muss.
Die Entscheidung des BGH
Grundsätzlich muss in einem Zivilprozess tatsächlich alles bereits in der ersten Instanz vorgetragen werden. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO besagt, dass neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen sind, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Gleichwohl lies die Klägerin durch ihren neuen Rechtsanwalt Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. Und siehe da – der BGH hob mit Beschluss vor 01.03.2016, Az.: VI ZR 49/15 – die Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken in weiteren Teilen auf und verwies den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Saarländische Oberlandesgericht Saarbrücken zurück.
Der BGH begründete die Entscheidung im Wesentlichen mit den Besonderheiten eines Arzthaftungsprozesses. Von einem Patienten und seinem Prozessbevollmächtigten kann kein medizinisches Fachwissen erwartet werden. Weder der Patient noch dessen Rechtsanwalt müssen sich insoweit medizinisches Fachwissen zur Prozessführung aneignen. Wenn sich also durch einen neuen Rechtsanwalt in der zweiten Instanz der bisherige Vortrag erweitern oder konkretisieren lässt, kann von einer Nachlässigkeit nicht die Rede sein. Aus diesem Grund ist das Gericht zweiter Instanz verpflichtet den medizinischen Sachverhalt aufgrund der neuen Anhaltspunkte mit Hilfe eines Sachverständigen zu ermitteln. Da das saarländische Oberlandesgericht Saarbrücken selbiges nicht veranlasst hatte, muss also in der zweiten Instanz zwingend nochmals ein Gutachten eingeholt werden.
Die zweite Chance
Einmal mehr bestätigte der Bundesgerichtshof im Rahmen ständiger Rechtsprechung, dass in Arzthaftungsprozessen an Patienten im Hinblick auf die Darlegungslast nur maßvolle Anforderungen zu stellen sind.
Somit soll auch möglich sein, neue medizinische Gesichtspunkte auch noch in der zweiten Instanz vorzutragen. Somit kann sich also ein Anwaltswechsel nach der ersten Instanz rentieren, da der neue Anwalt die Patientenakte völlig unvoreingenommen nochmals überprüfen und neue Aspekte zu Tage fördern kann. Die neu ermittelten medizinischen Tatsachen können dann im Rahmen des Berufungsverfahrens vorgetragen werden, so dass die Angelegenheit ein zweites Mal juristisch bzw. medizinisch im Rahmen des einzuholenden Sachverständigengutachtens überprüft wird.
Gerne überprüfen wir deshalb Ihr erstinstanzliches arzthaftungsrechtliches Urteil. Sollten unsere Überprüfungen Anlass dazu geben, dass ein Berufungsverfahren unter Umständen erfolgreich gestaltet werden kann, so vertreten wir Sie selbstverständlich auch in der zweiten Instanz. Vereinbaren Sie einen Termin unter 06021/30880 bei Ihren Spezialisten für Arzthaftungsrecht in Aschaffenburg